Etwas grundlegendes gleich zu Beginn. Ich habe das Photographieren noch in analog Zeiten gelernt. Auf einer Nikon F4 und in Dunkelkammern. Danach habe ich lange Zeit nicht mehr photographiert und bin erst im digitalen Zeitalter wieder in die Welt der Photographie und Photoshop eingestiegen.
Ein schlechtes Photo wird auch durch Photoshop ein gutes
Das höre ich oft. Zusammen mit Sätzen wie „das kannst du ja dann in Photoshop noch schön machen“. Gleichzeitig höre ich meine Kollegen einhellig sagen „Nur ein gutes Photo wird durch Photoshop noch besser, ein schlechtes Photo kann niemals ein gutes werden“.
Aber wer hat nun Recht? Irgendwie beide! In den Analog-Zeiten, aus denen ich komme, musste der Weißabgleich noch passen. Da musste vor jedem Bild genau überlegt werden, welche Einstellung man verwendet und wehe man hat einen Fehler in ISO, Zeit oder Blende gemacht. Dann war die Überraschung groß nach der Entwicklung.
Heute wird einfach mal drauf los fotografiert. Weißabgleich? Kannst du ja später noch in Lightroom machen, wenn du im RAW fotografierst. Überbelichtet? Einfach ein paar Regler bewegt, das Histogramm beobachtet und schon passt es. Farbstich oder Mischlicht? Auch da helfen die verschiedenen Regler um doch noch zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen. Früher hieß es ab damit in die Tonne.
Eines meiner einschneidensten Erlebnisse war eine Arbeit, die ich während meines Studiums gemacht habe. Ich konnte einen Photographen Pass für ein Marius Müller-Westernhagen Konzert ergattern. Konzertphotographie hatte ich bis dahin noch nie gemacht und die Idee war, ein gutes Bild für die Abschlußmappe zu bekommen. Dafür hast du bein einem Konzert in der Größenordnung normalerweise drei Lieder Zeit – also ca. 15 Minuten. Dazu kommen noch eine gutes Dutzend der Kollegen, die sich gerne mit Ellbogen und Co. in Position bringen.
Alles war vorbereitet. Blende? Passt! Belichtung? Passt! Ersatzfilm in der Tasche? Passt. Also ging es los. Die Security bringt uns vor die Bühne und es geht los. Ich photographiere was das Zeug hält. Nahaufnahmen, Objektivwechsel und Weitwinkelaufnahmen. Dann Filmwechsel und weiter immer drauf los. Er schaut in die Kamera? Perfekt. Das ist das Phot das ich wollte. Schon war die Zeit um, die Security räumt den Graben und alles ist um.
Am nächsten Tag stehe ich in der Akademie in der Dunkelkammer und entwickel die Filme. Danach folgt die Ausbelichtung auf schwarz weiß (Farbausbelichtungen sind so umfangreich, dass wir sie meist in Labos haben machen lassen). Das Ergebnis war schockierend. Alles war gnadenlos überbelichtet und es war alles für die Tonne was ich hatte. Aber warum? Ganz einfach, ich hatte einfach gnadenlos die ISO in die Höhe getrieben und nicht die Anzeigen beachtet. Ein Fehler, der mir danach nie wieder passiert ist. Schuld war die Unwissenheit um meine Ausrüstung und sicherlich auch die enorme Nervosität.
Schöne digitale Welt
Und heute? Ach wie ist das schön. Filmwechsel gibt es nicht mehr, es leben die GigaBit Chips. Überraschung in der Nachbereitung? Fehlanzeige. Heute machen wir mal ein paar Testbilder, checken in der Vorschau wie es aussieht und werfen vielleicht noch mal ein Blick aufs Histogramm. Selbst unscharfe Bilder kann man verhindern. Einfach ein paar Einstellungen gemacht und schon löst die Kamera nicht aus, wenn sie nicht scharf gestellt ist. Was eine wunderbare einfache Welt das geworden ist. Man muss sich lange nicht mehr so viel Vorbereiten sondern kann immer adhoc am Display alles prüfen.
Auch im Studio. Da gibt es heute Tethered shootings. Da wird direkt in den PC geschossen und mit einem Lightroom Presets schon die ersten Entwicklungseinstellungen vollautomatisch drüber laufen gelassen.
Photoshop wird schon richten
Und wenn dann doch mal was schief geht? Dann wird es Photoshop schon richten. Oder eben auch nicht. Ich kenne Kollegen, die vollbringen wahre wunder mit ihrer Kamera. Da kommen Bilder auf den Chip, die kann man sich sofort an die Wand hängen. Und dann gibt es da noch die Photoshop Künstler. Die können wahre Wunder mit dieser Software vollbringen und aus dem Nichts Meisterwerke kreieren. Wenn dann noch perfekte Fotos auf perfekte Nachbereitung treffen lässt sich schon mal vom perfekten Bild sprechen. Ein wenig Dodge & Burn hier, Liminanzmasken dort und schon können wahre Wunder vollbracht werden.
Wo ist die Kunst des Handwerks geblieben?
Ja, ich sehne mich nach der Zeit. Als gute Photos noch danach beurteilt wurden, wie sie aus der Kamera kamen. Unverfälschte Helmut Newtons, die frühe Annie Leibovitz usw. Da Bestand die Kunst wirklich noch in der Photographie. Heute ist eine Photographie ein Kunstwerk, dass zu 50% aus dem gemachten Photo und zu 50% aus der gelungenen Nachbereitung besteht. Es ist Schade, dass die digitale Welt so viel Einfluss auf dieses Handwerk genommen hat.
Ein Selbstversuch
Ich habe es einmal selbst probiert. Ich habe ein Bild genommen, dass unbearbeitet aus der Kamera kam. Es wurden weder in Lightroom Grundeinstellungen verändert noch in Photoshop nachbearbeitet. Das Bild wurde (wie früher) mit einem genauen manuellen Weißabgleich aufgenommen. Es wurde viel Zeit in eine 100% exakte Ausleuchtung gelegt und das Shooting dauerte einen Tag. Im Regelfall kann man ein solches Bild in einer Stunde produzieren zzgl. Nachbereitung.
Diese Bild habe ich bei verschiedenen Online Communities zu Bewertung eingestellt. Das Ergebnis war ernüchternd. Ein mittelmäßiges Bild in den Bewertungen.
Danach habe ich einen zweiten Versuch gemacht. Ein Bild, dass ich mit einem iPhone aufgenommen hatte. Das Bild ist während der Fahrt aus der Windschutzscheibe entstanden. Man könnte es geknippst nennen. Ein ganz normales Urlaubsbild mit Spiegelungen und keinem wirklich interessanten Aufbau. Diese Bild habe ich durch Lightroom gejagt und in Photoshop Spiegelungen entfernt, Farben nachbearbeitet, den Ausschnitt angepasst und vieles mehr. Dann habe ich es ebenfalls in die Communities gestellt. Wie zu erwarten war, erhielt dieses Bild um einiges höhere Bewertungen obwohl eine Nachbearbeitung ganz klar zu erkennen war. Das mittelmäßige, mit einem iPhone geknippste Bild wurde also besser bewertete als eine stundenlange unbearbeitete Studioarbeit.
Jetzt mögen die Kritiker sagen, das umfangreiche Bild war eben schlecht umgesetzt. Das mag sein und liegt im Auge des Betrachters, es ändert aber nichts an der Tatsache, dass ein mit einem iPhone aus einem fahrenden Auto durch eine schmutzige Windschutzscheibe fotografiertes Bild durch eine offensichtliche Nachbearbeitung zu einem augenscheinlich guten Bild wurde.
Photoshop kann aus einem schlechten Bild ein gutes machen
Das ist demnach der Konsens dieses Versuchs. Auch wenn die werten Kollegen es anders betrachten. Schade hierbei ist eigentlich nur, dass die Nachbereitung und der gekonnte Umgang mit Photoshop scheinbar wichtiger geworden ist, als das Handwerk der Photographie! Arme digitale Welt.
Nachtrag:
Die Online Portale auf denen die Bilder zur Bewertung gestellt wurden sind im Übrigen Portale, auf denen Photographen zu Hause sind und keine Endverbraucher. In diesem Versuch haben also die Kollegen die Arbeit eines Kollegen bewertet und im Endeffekt mit diesem Versuch über sich selbst gewertet.
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